Exoskelette sollen in Zukunft Gelähmte wieder gehen lassen Unbenannt.JPG - Bild entfernt (keine Rechte) .. zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken

VON SUSANNE DONNER vom KSTA.de/magazin

Michaela Schlett schiebt den Joystick nach vorne. Ein Geräusch ertönt, als würde ein Gabelstapler Waren aus einem Hochregal holen. Dann tut die querschnittsgelähmte Frau, die seit vier Jahren im Rollstuhl sitzt, den ersten Schritt. Und sagt: "Ich bin überwältigt, auf Augenhöhe mit all den Menschen hier zu sein."

Es ist der Weltkongress für Orthopädie und Rehatechnik in Leipzig, und Michaela Schlett steckt in einem Exoskelett, einer robotischen Rüstung, die an ihren Hüften, den Knien und Füßen befestigt ist. Gehbehinderte können damit wieder laufen und sogar Treppen steigen. Der Hersteller, das neuseeländische Unternehmen Rex Bionics, verheißt nicht weniger als eine "Revolution in der Medizin".

Immer mehr Hersteller drängen mit Exoskeletten auf den Markt. "Noch zehn bis zwanzig Jahre, und der Rollstuhl wird nicht mehr gebraucht", prophezeit Amit Goffer, selbst seit 1998 querschnittsgelähmt. Goffer ist Chef des israelischen Unternehmens Argo Medical Technologies, jetzt auch ein "Exoskelett für zu Hause" anbieten will. Zurzeit erproben Patienten in Rehakliniken das System. Der japanische Hersteller Cyberdine hat in Asien seit 2010 schon 300 Exoskelette im Einsatz. Und in 400 Geräten des US-Konkurrenten Ekso Bionics laufen bereits Querschnittsgelähmte und Schlaganfallpatienten in Rehazentren. Laufroboter entwickelten sich zur "Massenware", kündigte Firmenchef Homayoon Kazerooni an.

Gehbehinderte mit Parkinson, Unfallopfer, Patienten mit multipler Sklerose, Junge wie Alte, sollen in die Rüstung schlüpfen und sich mit maschineller Unterstützung fortbewegen. Das ist die Vision. "Mit dem Laufroboter kann man einkaufen gehen, in die Kneipe oder zur Arbeit", verspricht Helen Robinson, Geschäftsführerin von Rex Bionics.


Auch Gesunde profitieren

Sogar Gesunde sollen profitieren: Sie könnten dank Exoskelett bei der Arbeit kräftiger und ausdauernder zupacken, stellt Kazerooni in Aussicht. Als Robotikexperte an der University of California entwickelte er die ersten Exoskelette im Auftrag des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Diese Laufroboter schnallen sich heute vor allem US-Soldaten an. Sie könnten damit 100 Kilogramm auf dem Rücken tragen, ohne das Gewicht zu spüren, so der Forscher. Beim Abwärtsgehen dämpfe die Rüstung die Erschütterungen auf die Kniegelenke und die Wirbelsäule.

Honda teilt Arbeitern in der Fabrik in Saitama seit 2008 ein Exoskelett aus, das einem Sattel mit Beinen gleicht. Wer bei der Fahrzeugmontage oft in die Knie gehen muss, wird vom Roboter gestützt. Der Konzern empfiehlt das System auch für Übergewichtige und Ältere als Hilfe beim Treppensteigen.

Exoskelette bewegen die Glieder passiv. Motoren, meist an der Hüfte und den Knien, setzen die Hülle in Gang, wenn der Träger das Zeichen dazu gibt. Der israelische Roboter erkennt die Absicht zu Gehen am Vorbeugen des Rumpfes, beim neuseeländischen System bewegt Michaela Schlett die robotische Rüstung über einen Joystick.

Das japanische Modell kann sogar mit der Kraft der Gedanken betätigt werden. Elektroden am Kopf lesen die Hirnströme aus. Will der Träger einen Schritt tun, produziert sein Gehirn ein spezifisches elektrisches Signal und bewegt damit das robotische Beinkleid. Auf der Messe für Orthopädie und Rehatechnik in Leipzig führte Cyberdyne sein System aber stets ohne diese mentale Steuerung vor. Der Schweizer Rehabilitationsexperte Robert Riener von ETH Zürich ist skeptisch: "Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass das nicht gut funktioniert. Man benötigt eine Kappe auf dem Kopf mit 64 Elektroden, darunter ein Gel, damit die elektrischen Signale gut übertragen werden. Damit wird man nie eine hohe Akzeptanz erreichen."

Riener glaubt, dass vor allem Rehazentren die Laufroboter nutzen werden: "Wenn noch gesunde Muskeln und Nerven vorhanden sind, können viele Patienten damit wieder einigermaßen normal laufen lernen." Rehakliniken verwenden dafür derzeit vornehmlich den stationären Laufroboter "Lokomat" der Schweizer Firma Hocoma. Bisherigen Studien zufolge sind solche Geräte dem Therapeuten aber nicht überlegen. Die Exoskeletthersteller werben zwar mit positiven Auswirkungen, etwa weniger Harnwegsinfekten. Aber es gibt keine klinischen Studien, die das beweisen.


Effizientere Reha

Die Vorzüge werden erst zu Tage treten, wenn man die Maschinen weiterentwickelt, meint Riener: "Mit dem Roboter können Patienten effizienter und länger trainieren als mit einem Therapeuten, der oft nur eine halbe Stunde am Tag Zeit hat." Sie sehen zudem, welche Strecke sie zurückgelegt haben - ein nicht zu unterschätzender psychologischer Effekt.

Für den Privatgebrauch taugen die Exoskelette aber noch nicht, findet Riener: "Den Rollstuhl ersetzen sie auf absehbare Zeit kaum." Patienten können die Geräte nicht selbstständig an- und ablegen, die Batterien reichen oft nur zwei bis drei Stunden. Hinzu kommt der exorbitante Preis von 40 000 bis 100 000 US-Dollar. Robotikspezialist Dan Ferris von der University of Michigan vergleicht den Stand der Entwicklung mit dem von Computern in den 70er Jahren - und deutet damit zugleich ein enormes Potenzial an. Tatsächlich zweifeln Forscher nicht daran, dass Laufroboter schon in einem Jahrzehnt zumindest vereinzelt zum Stadtbild gehören.